Am 1. März 2019 wird „Feminismus Revisited“, das neue Buch von Erica Fischer, erscheinen. Ich durfte die renommierte Autorin vergangenen September auf Zakynthos interviewen, wo sie bei der Sommerakademie Griechenland eine Schreibwerkstatt abhielt.
Erica, was war der Auslöser für deine Beschäftigung mit dem Feminismus? Ist etwas Bestimmtes passiert oder hat sich dein Interesse langsam entwickelt?
Teilweise wird das in meinem neuen Buch beantwortet, es ist eine Vermischung meiner Autobiografie mit Interviews mit jungen Frauen von heute. Als Teenager und junge Frau war ich total unglücklich. Dann bin ich ca. 1971 mit einer Gruppe namens „Arbeitskreis Emanzipation“ in Kontakt gekommen, und da hat’s bei mir plötzlich Klick gemacht, ich habe mich persönlich total verändert, hatte das Gefühl, jetzt habe ich wirklich das gefunden, was an der Wurzel meines Unbehagens in der Gesellschaft liegt. Alle Scheu, alle Schüchternheit ist von mir abgefallen, ich habe plötzlich angefangen, Vorträge vor Hunderten von Leuten zu halten, mich bei Diskussionen durchzusetzen, auch bei Männern, die eine total andere Meinung hatten.
Erst viel später, etwa Mitte der 80er-Jahre, bin ich draufgekommen, dass mein Unbehagen in der Gesellschaft viel weiter zurückliegt. Es ist auf meine Familiengeschichte zurückzuführen: Meine Eltern waren Flüchtlinge aus Nazi-Österreich, und ich habe mich nie in der österreichischen Gesellschaft verwurzelt gefühlt. Inzwischen weiß man ja, dass Traumatisierungen über Generationen weitergegeben werden. Zuerst dachte ich also, das Patriarchat sei schuld an meinem Unbehagen, weil ich eine Frau bin. Erst viel später hatte ich dann wahrscheinlich erst die psychische Stabilität, um mich mit der jüdischen Geschichte auseinanderzusetzen.
Interessant ist, dass ich bei den Interviews für dieses Buch mit einer Frau gesprochen habe, deren Vater Inder ist und deren Mutter Polin – sie hat Ähnliches erzählt: Sie hatte auch zuerst gedacht, ihr Unbehagen rühre daher, dass sie eine Frau ist und ihr Vater wenig mit ihr gesprochen hat, weil er eben ein Mann ist. Viel später hat sie festgestellt, dass sie mit ihrer dunklen Haut immer angeeckt ist, was ihr als Kind gar nicht bewusst war. Und ihr Vater hat deshalb nicht viel gesprochen, weil er nicht ordentlich Deutsch konnte und viel arbeiten musste, um die Familie durchzubringen.
Jetzt ist mir klar, dass beides miteinander verwoben ist, aber wahrscheinlich sitzt das Jüdische, dieses Gefühl, nicht dazuzugehören, ausgegrenzt zu sein (obwohl mir das nie bewusst war) viel tiefer.
War dein Vater Jude oder deine Mutter?
Meine Mutter war Jüdin. Deshalb habe ich eine große Sensibilität für Diskriminierung, natürlich auch der Frauen. Ich habe immer den Rassismus und den Antisemitismus mitgedacht, das war bei mir vielleicht stärker ausgeprägt als bei manch anderen Feministinnen, die eine normale österreichische Biografie hatten. In der heutigen Frauenbewegung stelle ich fest, dass Frauen zwischen 30 und 40 in viel stärkerem Ausmaß als wir damals den Rassismus miteinbeziehen; auch andere Formen der Diskriminierung, wie Behinderung, Religion, Hautfarbe, Genderidentität, sexuelle Orientierung und natürlich Antisemitismus.
Das waren in den 60er-Jahren noch keine Themen in der Frauenbewegung?
Heute ist ein wesentlich größeres Bewusstsein vorhanden, denn viele Engagierte und viele Feministinnen haben einen migrantischen Hintergrund, sie beziehen diese Themen mit ein, die für uns damals noch nicht aktuell waren. Mehrere für dieses Buch interviewte Personen haben einen solchen Hintergrund: eine indisch-polnische Frau, eine mit beiden Elternteilen aus Polen, ein Transgender mit einem persischen Vater, eine mit Eltern aus dem Iran. Ich habe mir diese Menschen nicht bewusst wegen des Migrationshintergrunds ausgesucht.
Ich höre heute immer wieder, dass wir Feminismus, Emanzipation nicht mehr brauchen, aber ich bemerke teilweise Rückschritte.
Das kann ich so verallgemeinernd nicht sagen, mir fällt das Gegenteil auf. Es hängt davon ab, wo du deinen Fokus hinrichtest. Die Feministinnen waren immer eine kleine Minderheit. Trotzdem hat sich durchgesetzt, dass junge Mädchen, auch Migrantinnen (zweite, dritte Generation), jetzt einen Beruf haben oder anstreben. Da ist gesamtgesellschaftlich viel weitergegangen seit den 70er-Jahren. Aber heute ist politisch auf der ganzen Welt ein Backlash festzustellen: Rassismus, Xenophobie, Antifeminismus, Islamfeindlichkeit, Sexismus sind Haltungen, die alle etwas miteinander zu tun haben. Mein Blick ist natürlich eingeschränkt auf tolle junge Frauen mit einem wesentlich weiteren Horizont, als wir ihn damals hatten.
Es gibt derzeit in Deutschland im Feminismus einen Konflikt zwischen meiner Generation und einer bestimmten Gruppe von jungen Frauen. Diese Alten, allen voran Alice Schwarzer, werfen den Jungen vor, sie hätten den Feminismus entpolitisiert, indem sie sich wegbewegen von der Polarisierung Frau/Mann, die gesamte Gesellschaft in den Blick nehmen und vor allem auch sensibel geworden sind für Rassismus. Ich bin stolz, dass ich nicht zu dieser Gruppe von Alten gehöre, ich sehe das ganz anders.
Dann kommen noch die Umweltthemen dazu, es greift ja eins ins andere, Zukunftsthemen, Klimaerwärmung usw., sie lassen sich nicht trennen.
Ja. Wir haben damals nur den ersten Schritt getan, und der war ungeheuer wichtig. Nur sind mittlerweile manche aus meiner Generation meiner Meinung nach auf dem besten Weg, in Richtung Mainstream und Rassismus zu gehen. Weil sie nicht weiterdenken, weil sie stecken geblieben sind und glauben, das, was sie damals geleistet haben, muss auf ewige Zeit in Stein gemeißelt bleiben (was alte Leute ja oft machen). Insofern war für mich die Arbeit an diesem Buch wie ein Jungbrunnen.
Was war der Auslöser für dich, dieses Buch zu schreiben?
Ich habe gespürt, da bewegt sich etwas, was mich interessiert. Ich schreibe eigentlich nur Bücher über Dinge, über die ich nicht viel weiß, über die ich aber mehr erfahren möchte. Ich war neugierig auf die junge Generation und wahrscheinlich auch, weil man im Alter auf die eigene Jugend zurückschaut: Was habe ich geleistet, was ist davon geblieben und was hat sich weiterentwickelt? Ich habe das Gefühl, die jungen Frauen haben ein großes Bedürfnis nach Dialog, nur wollen sie nicht, dass man ihnen vorwirft, sie machen es falsch, und wir haben alles richtig gemacht.
Das Buch erscheint am 1. März 2019?
Ja, es erscheint im Berlin Verlag, es ist mein erster Vertrag mit diesem Verlag. Meine neue Agentin hat vier große Verlage gefunden, die alle an diesem Thema interessiert waren; das sagt mir auch, dass da etwas in der Luft liegt. Früher musste man mit einem feministischen Thema betteln gehen – sie gehen im Verlag also davon aus, dass es sich verkauft. Das hat mich sehr überrascht.
Du bist auch Mitbegründerin von „AUF – Eine Frauenzeitschrift“.
Die gibt es nicht mehr, sie hat sich aber sehr lange gehalten (Anm.: 1974–2011), inzwischen machen jüngere Frauen Zeitschriften, z. B. „an.schläge“ (ein feministisches Monatsmagazin aus Österreich). In Deutschland gibt’s die EMMA und das „Missy Magazine“, eine popkulturelle Zeitschrift für junge Frauen. Eine meiner Interviewpartnerinnen ist dort Redakteurin. Sie haben ungefähr die gleiche Auflage wie die EMMA, d. h., der Feminismus teilt sich in die Radikalfeministinnen (EMMA) und in die Queer-Feministinnen. Für diese ist die Zweiteilung der Menschheit in Männer und Frauen nicht ein unumstößliches Faktum, es gibt mehr dazwischen, als wir früher gedacht haben. Was uns damals völlig unbekannt war: Es gibt Menschen, die körperlich als Frau oder Mann erkennbar sind und es trotzdem ablehnen, als Frau oder Mann bezeichnet zu werden (= Queer-Identität). Für uns Ältere ist das schwer nachzuvollziehen, aber ich finde den Gedanken, dass wir uns langsam von dem starren Mann-/Frau-Schema lösen, sehr spannend.
Wäre es vielleicht sogar förderlich, uns alle ausschließlich als Menschen zu bezeichnen?
Ja, wenngleich ich die Forderung von manchen Queer-Feministinnen, nur noch das Wort Mensch zu verwenden, ablehne, solange Frauen diskriminiert werden. Es gibt in vielen Ländern genügend Menschen, die nur deshalb diskriminiert werden, weil sie Frauen sind. Insofern kippt das schon wieder in die rechte Ecke. Uns wurde immer vorgeworfen, wir würden polarisieren, wir sind doch alle Menschen. Das stimmt eben nur bedingt.
Du wurdest ja mit deinem Buch „Aimée & Jaguar“ 1994 der breiten Öffentlichkeit bekannt, es wurde sogar verfilmt. Darin ging es um die ungewöhnliche Liebesgeschichte zwischen zwei Frauen.
„Aimée & Jaguar“ war und wird wohl immer mein erfolgreichstes Buch bleiben und hat natürlich meine Situation als Schriftstellerin sehr verändert. So ist es für mich leichter geworden, einen Verlag zu finden. Ein Großteil des Erfolges ist, dass es eine irre Geschichte ist, die man nicht alle Tage findet. Es ist klar, dass ich mit „Feminismus Revisited“ nicht diese Auflagen erreichen werde. Dann wären wir gesellschaftlich wirklich schon weiter.